21. März 2008, Karfreitag 2008
Liebe Gemeinde!
Karfreitag!
Wir stehen vor dem Kreuz, unter dem Kreuz. Und wir trauern über die Erfahrung der Unmenschlichkeit, die in dem Geschehen der Passion, die wir gerade gehört haben, zum Ausdruck kommt. Wir trauern darüber, dass Gottes Wille mit Füssen getreten wird, dass Menschen damals - und immer auch noch heute - meinen, Gott einen Dienst zu tun indem sie Gewalt ausüben, indem sie unmenschlich sind, indem sie vermeintlich um Gottes Willen ihren Willen durchsetzen - und gerade so sich gegen ihn stellen.
Karfreitag.
Für so manchen ist dieser Tag auch Erinnerung an eigene Leidenserfahrungen. Erinnerung an Stationen des Lebens, die voller Schmerz waren oder sind, denen man ausweichen wollte und sie doch erleben musste.
Karfreitag.
Solidarität der Leidenden und die schreckliche Erfahrung des Todes.
Manche von uns werden aber auch die tiefe Stille kennen, die sich ausbreitet, wenn ein Sterbender den letzten Atemzug getan hat und der Tod den Schrecken des Schmerzes ausgelöscht hat - ein greifbarer, fast unaussprechlicher Frieden.
Es gibt auch einen Karfreitagsfrieden. Wir finden ihn - trotz aller Schrecken - beim Gekreuzigten. Er ist seinen Weg gegangen - einen Weg, der ihn von der Not und dem „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ hingeführt hat zur Zustimmung. Das Geheimnis des Karfreitagfriedens liegt in dem Wort: Es ist vollbracht.
Es ist - gerade in diesem Zusammenhang des Karfreitags - ein geheimnisvolles Wort: inmitten der greifbaren Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit Sinn und Menschlichkeit zu erfahren.
„Es ist vollbracht!“ Man könnte dieses Wort auch übersetzen: Es ist erfüllt, vollendet, zu Ende gebracht, zum Ziel gekommen. Wenn einer sich bemüht, etwas zu vollenden und er sieht, dass er sein Werk geschafft hat, sagt er: Es ist gut so.
Es ist vollbracht, das heißt soviel wie: Es ist gut so!
Jesus hat sein Werk vollbracht. Er hat sein Lebensziel erreicht. Er hat getan, was seine Aufgabe, was seine Berufung war. Er hat Gottes Werk vollbracht.
Darum dürfen wir - mit ihm - sagen: Es ist alles gut!
Alles gut? Ist das nicht ein unerlaubtes Plädoyer für eine „heile Welt“, dass sich etwas vormachen will und die Realität übersieht?
Nein, es ist die Botschaft von einer ein für allemal erlösten Welt. Das Schlechte und das Böse, das Leid und der Schmerz, das Ende und der Tod behalten nicht die Oberhand in der Welt.
Das Leben, das Gute ist die letzte, tiefste und geheimnisvolle Wirklichkeit der Schöpfung, von der es am Anfang der Bibel heißt: „Und Gott sah, dass es gut war, dass es sehr gut war.“
Das sagen wir hier und heute, angesichts der Passion, angesichts von Karfreitag. Es ist ein Wagnis, so zu sprechen, ein Glaubensgeheimnis. Und es ist gut, dass wir es als Kirche, als Gemeinde sagen und uns zu manchen Zeiten auch tragen lassen können vom Glauben und von der Hoffnung der anderen.
Es ist vollbracht! Es ist gut so!
Wie können wir das im Innersten erleben, glauben und nachvollziehen?
Indem wir nach Golgotha gehen und den Gekreuzigten anschauen! Indem wir Karfreitag feiern und uns diese Wirklichkeit des Lebens, diese Wirklichkeit Jesu von Neuem vergegenwärtigen und den Sinn suchen, den wir als Glaubende in dieser Feier zum Ausdruck bringen.
Und indem wir uns vom Gekreuzigten anschauen lassen.
Wir begehen den Karfreitag nicht nur in der schweigenden und sprachlosen Solidarität mit dem vielen namenlosen Leid der Welt. Wir beugen unser Knie gleich wieder vor dem Kreuz - bereits als Glaubende, als Menschen, die jetzt schon glauben und hoffen, dass Gottes Macht größer ist als alles Leid und die Unmenschlichkeit der Welt.
In dem Blick der Liebe, der uns selbst auf Golgotha begegnet und der sogar im Tod noch den Menschen gilt, wird es möglich, dass wir verändert werden, dass wir vom Leben Jesu lernen, dass wir unsere Selbstverschlossenheit und Lieblosigkeit loslassen und dem restlos liebenden Gott antworten können: Es ist gut. Es ist alles wieder gut.
Dann können wir dem Gekreuzigten hinlegen und ausbreiten, was unser Kreuz ist. Wir können unsere kleinen und großen Kreuze wahrnehmen, sie zu ihm tragen, um so Kraft zu erhalten, mit dem zu leben, was zu unserem Leben gehört.
Amen
Harald Fischer
(nach einer Idee von Emmanuel Jungclaussen)