26. Dezember 2007, Fest des heiligen Stephanus
Mt 10, 17-22
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Ausgerechnet am 2. Weihnachtstag ist in den biblischen Texten von Konflikten die Rede, von erheblichen Konflikten sogar. In der Lesung hören wir vom Lynchmord an Stephanus. Das Evangelium beginnt mit der Warnung: Nehmt euch vor den Menschen in Acht. Sie werden euch vor die Gerichte schleppen und in ihren Synagogen auspeitschen! -
 
Und das kann nicht nur von irgendwem passieren. Nein, es kann sogar so weit gehen, dass Brüder einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und Kinder werden sich gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken.
 
Vielleicht sagen Sie spontan: Wo gibt’s denn so was??!
 
- Wenn wir so was in unserer Welt heute suchen, brauchen wir nicht nur an einzelne kriminelle Mordgeschichten und Familientragödien denken, von denen man in der Zeitung lesen kann. Es geht nicht nur um so schreckliche Geschichten, wo jemand die eigene Frau oder die Kinder umgebracht hat.
 
Wie viele Menschen, auch eng verwandte, machen sich gegenseitig das Leben schwer, verletzen einander, tun sich Leid an und machen sich - wie wir sagen - gegenseitig kaputt!
 
Ist das nicht Tod mitten im Leben? So ganz fremd ist das vermutlich vielen unter uns nicht. Und für manchen gibt es wirklich Menschen, vor denen er sich in Acht nehmen muss.
 
Weihnachten als Fest der Liebe hat uns erneut auf eine andere Botschaft eingestimmt. Wir haben wieder gefeiert: Die Liebe kann durchaus die Grundkraft unseres Lebens und unseres Umgangs miteinander sein. Weihnachten feiern wir, dass Gott diese Grundkraft, seinen Sohn, seine Liebe unzerstörbar in unser Leben geschenkt hat.
 
Auch in den heutigen, sehr herben Texten geht es um die Liebe als Grundkraft menschlichen Lebens.
 
Liebe ist nicht nur ein freundliches Wort, an das wir uns zu den großen Festen erinnern - und es dann wieder in die Kiste der sentimentalen Gefühle verpacken.
 
Liebe ist auch nicht einfach - und noch nicht verwirklicht, wo wir nett zueinander sind.
 
Es gibt in uns Menschen schließlich auch die dunklen Seiten: Egoismus, Machtverlangen, Aggressionen, Eifersucht, Hass aus verletzter Liebe, Rechthaberei, sich behaupten wollen...
 
Und es gibt nicht nur die tief dunklen Seiten in uns neben den hellen. Es gibt die vielen grauen Seiten, wo Verletzungen nachwirken, Verbitterungen mitschwingen im Umgang miteinander. Es gibt das, was uns für den anderen nicht gleich böse macht, aber schwierig sein lässt für andere. Wer von uns könnte sagen, dass es diese Seiten an ihm nicht gibt? Dass es bisweilen nicht auch schwierig ist, mit uns umzugehen? So einfach ist es doch mit uns nicht immer.
 
Und wie ist das dann mit der Liebe - wenn wir uns so begegnen? Sagen wir dann nicht irgendwann - oder schon sehr bald: „Einmal muss Schluss sein, aus mit der Liebe!“?
 
Die Lesung sagt: „Nein, nicht aus mit der Liebe“. Stephanus betet für seine Mörder. Er tritt für sie bittend ein. Stephanus ist einer, der von dem Kind in der Krippe etwas begriffen hat. Er ist einer, der Christus nachfolgt - sogar in der Liebe zu seinen eigenen Feinden.
 
Liebe, das ist gar nicht immer so einfach; sie kann „verdammt schwierig“ sein.
 
Es geht nicht immer gleich um Leben und Tod wie bei Stephanus oder Jesus. Es geht aber sehr oft darum, dass wir am Ende „die Dummen“ sind. „Muss ich mir das noch bieten lassen?“ heißt es dann. Soll ich die noch lieben, unter denen ich zu leiden habe?
 
Jesus hat nicht einfach alles hingenommen. „Warum schlägst du mich?“ sagt er bei seinem Verhör. Und er findet sehr deutliche und entlarvende Worte für die, die Unrecht tun. „Ihr übertünchten Gräber“, sagt er zu ihnen.
 
Er nennt Unrecht beim Namen. Aber auch als ihm Hass entgegen schlägt und er Gewalttätigkeit zu spüren bekommt, lässt er sich nicht zur Gewalt und zum Hass hinreißen. Er, der ganz und gar Liebende, Menschenfreundliche wurde am Ende aufs Kreuz gelegt. Aber er blieb unbeirrt in seiner Liebe zu den Menschen, auch zu denen, die ihn kreuzigten.
 
Auch Stephanus benennt das Unrecht beim Namen. Es ist Sünde, was seine Mörder mit ihm machen. Aber er tritt sterbend noch für sie ein: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“
 
Liebe, so wird hier deutlich, kann etwas höchst Anspruchsvolles sein, was viel von uns verlangt - so viel, wie wir oft nicht zu geben bereit oder in der Lage sind.
 
Und das ist nicht erst da der Fall, wo es ums Überleben geht.
 
Die Liebe, die Maß an Jesus Christus nimmt, sagt niemals - in keiner Situation: „Schluss, aus mit der Liebe.“ Sie sagt es selbst da nicht, wo Verletzung erfahren wird oder Bedrohung, weil sie im anderen hinter seinem schlimmen Tun immer noch den Menschen in seinen Schwächen, seinem Versagen sieht.
 
Jesus in der Haltung der Liebe nachzufolgen, heißt keineswegs alles erdulden oder hinnehmen. Nein!
 
„Nehmt euch in Acht!“ sagt er. Setzt euch mit den anderen auseinander, aber so, dass ihr im anderen nicht jemand seht, den es zu schädigen oder zu vernichten gilt.
 
Die christliche Liebe ist wirklich etwas höchst Anspruchsvolles, weil sie auch da noch dem anderen Menschen wohlwollend zugewandt bleibt, wo dieser sich nicht liebenswert verhält, und der Liebende Gefahr läuft, am Ende der Dumme zu sein.
 
Eine Liebe, die ihr Maß nimmt an der Menschenfreundlichkeit Gottes, die wir Weihnachten feiern, bleibt eine enorme Herausforderung. Aber eben eine, die sich an der Menschenfreundlichkeit Gottes orientiert.
 
Amen
 
Harald Fischer
(nach Reinhold Waltermann)