17. Juni 2007, 11. Sonntag im Jahreskreis
Lk 7,36 - 50
 
 
Das Evangelium dieses Sonntags hat mir einige Kopfschmerzen bereitet, es wirft bei mir einige Fragen auf: Das Verhalten der Frau ist mir sehr fremd! Wie kann sich eine Frau so verhalten?
 
So sich selbst erniedrigen und demütigen?
 
Eine peinliche Situation, so wie sie sich verhält; wenn ich mir die Situation real vorstelle ...
 
Die Füße Jesu mit den Tränen benetzen, mit den Haaren trocknen, küssen, salben.
 
Was muss in einer Frau vorgehen, dass sie sich in der Öffentlichkeit so demütigt, was muss diese Frau Verletzungen erlitten haben, dass sie Hemmungen fallen lässt? Sie wird nicht mit Namen genannt.
 
Sie spricht kein einziges Wort, sie tut etwas Ungewöhnliches, sie wird mehrmals „Sünderin“ genannt - mehr erfährt man nicht.
 
Und Jesus lässt es an sich geschehen. Die Berührung - er wehrt nicht ab. Dieses unterwürfige, sehr direkte Verhalten der Frau. Auch das ist für mich schwer zu begreifen.
 
Was verstehe ich aus dem Text heraus? Was will Lukas sagen, was will Jesus sagen?
 
Wenn man den Text aufmerksam liest, dann wird man einen Bruch finden, eine Ungereimtheit. Es geht um Vergebung von Sünden und um das Zeigen von Liebe. Wie hängt das miteinander zusammen? Der Evangelist Lukas gibt zwei Erklärungsmuster an, die aber untereinander unvereinbar sind:
 
Der inhaltliche Bruch wird im 1. Vers (47) deutlich. Da heißt es im 1. Teil: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat“; also: die Sünderin hat zuerst Liebe gezeigt, indem sie Jesus gesalbt hat u.s.w., und als Folge davon werden ihr die vielen Sünden vergeben.
 
Im 2. Teil des Verses heißt es aber dem gegenüber: „Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe“. Also umgekehrt: die Vergebung der Sünden geschieht zuerst und als Folge davon zeigt der Sünder aus Freude und Dankbarkeit seine Liebe;
 
Wenn wenig vergeben wird . . .
 
Wenn viel vergeben wird . . .
 
Also was nun? Kommt der Liebesbeweis wie eine Vorleistung zuerst und als Folge davon Vergebung der Sünden
 
Oder: Zuerst erfährt der Mensch die Vergebung und zeigt daraufhin seine Dankbarkeit durch Liebesbeweis?
 
Ich weiß natürlich nicht, ob Lukas diesen Bruch gesehen und bewusst so stehen gelassen hat. Bibel-Fachleute geben z.B. als Erklärung an: hier hat der Evangelist zwei Berichte aus zwei Quellen zusammengefügt zu dem Text, den wir haben.
 
Ich bin kein Exeget - kein Bibel-Fachmann - ich lasse diese Spannung so stehen.
 
Ich stelle mir vor: Ein Mensch, der schwer gesündigt hat, begegnet Jesus. Ob der Mensch Mann oder Frau ist, sei dahingestellt. Ich denke: man kann zwei grundsätzliche Haltungen einnehmen. Wie kann ich Sünde loswerden? Wie kann sie mir Jesus - wie kann sie mir Gott vergeben? Was muss ich denn tun, damit die Verletzungen der Sünde auf den Weg der Heilung kommen?
 
Die eine Haltung ist die: Tu etwas! Zeige Liebe! Demütige dich vor Gott, zeige, dass du ihn liebst! Bring Opfer, bete, tu gute Werke! Manch einer zerfleischt sich förmlich, um endlich Heilung zu erfahren; Frieden; er fragt sich ängstlich: habe ich denn genug getan? Wie finde ich einen barmherzlichen Gott? Wie kann ich Gott bewegen, dass er sich meiner erbarmt? Und manch einer findet einfach keinen Frieden, er ist wie ein Verdurstender unmittelbar vor der Quelle; das ist sehr menschlich gedacht - Leistung und Lohn - Gedanke!
 
Nein, Jesus legt eine andere Haltung nahe. Er bereitet seine Antwort durch ein Gleichnis vor. Ich erzähle das Gleichnis mit meinen Worten: stell dir vor, da sind zwei Menschen, die haben bei der Sparkasse Schulden. Der eine 500 Euro, der andere 5.000 Euro. Beide können nicht zurückzahlen. Daraufhin erlässt der Sparkassenchef beiden die Schuld. Wer wird die Sparkasse nun mehr lieben?  Der, der 500 Euro schuldig war, oder der mit 5.000 Euro. Der mit den 5.000 Euro Schuldenlast wird die Sparkasse hoch preisen: „meine Lieblingssparkasse!“
 
In Bezug auf die Sparkassen unserer Welt, völlig verrückt, die verschenken nichts.
 
Aber so verrückt ist Gott! Genau das hat er: Vergebung ohne Vorleistung - ohne Bedingung!
 
Jesus wirbt darum: Fang jetzt neu an: versuche es, du brauchst keine Schulden bezahlen Gott gegenüber.
 
Ein solcher Mensch atmet auf, der empfindet tiefe Dankbarkeit, der will die Dankbarkeit auch zeigen, durch Liebe.
 
Dies ist der 1. Schritt auf dem Weg der Heilung. Ich brauche Gott nicht besänftigen, er ist nicht mein Gegner; und dann können weitere Schritte folgen.
 
Ich entdecke in dem Erzählbuch des Lebens zwei Haltungen, die mir wohl bekannt sind; und ich glaube schon, wenn ich z.B. an das Gleichnis vom barmherzigen Vater denke (auch bei Lukas), dann wirbt Jesus um die vertrauensvolle Haltung Gott gegenüber.
 
„Dein Glaube hat dir geholfen“, sagt Jesus; dein Vertrauen Gott gegenüber und mir gegenüber.
 
Dann ist ein Schritt zur Heilung getan, zum Frieden. Gott macht den ersten Schritt. Er hat ihn schon längst getan. Das Erbarmen Gottes braucht niemand erarbeiten, er lässt es sich schenken. Der 1. Schritt ist getan. „Geh hin in Frieden!“ - „geh weiter voran auf dem Weg des Friedens!“
 
Amen
 
Pfarrer Peter Bulowski, Kassel, St. Bonifatius