7. April 2005, Requiem für den verstorbenen Papst Johannes Paul II.
in St. Marien, Kassel
Ev. Mt 28,1-10 u. 16-20


Liebe Mitbrüder!
Liebe Schwestern und Brüder!

Die Welt trauert um den Papst.

Mit einem gewissen Erstaunen und vielleicht auch mit Verwunderung schauen wir auf die ungeheure Anteilnahme am Tod des Heiligen Vaters gerade auch außerhalb der katholischen und sogar der christlichen Welt. Millionen von Menschen reisen in diesen Tagen nach Rom, um dem Papst die letzte Ehre zu erweisen. Die Trauerfeierlichkeiten dieser Tage und die Beerdigung selber sprengen den Rahmen all dessen, was die Welt bisher erlebt hat.
 
Es ist eine Betroffenheit zu spüren, die alles übertrifft. Vermutlich haben die meisten von uns das in den letzten Tagen selber erleben können bei sich selber und auch in vielen Begegnungen und Gesprächen.
 
Viele Menschen, erstaunlicherweise oft auch gerade Menschen, die der Kirche eher distanziert gegenüber stehen, haben mir z.B. in den letzten Tagen ihre persönliche Trauer über den Tod des Papstes zum Ausdruck gebracht. Manche äußerten, dass sie erst am Tod des Papstes gemerkt hätten, wie sehr sie noch mit der Kirche verbunden sind, oft trotz jahrelanger Distanz. „Wie wird das Leben nach diesem Papst sein. Er hat immer zu meiner Welt gehört, so lange ich denken kann“, sagte jemand. Jemand anderes sagte unter Tränen: „Mich haben die letzten Worte des Heiligen Vaters sehr berührt und getröstet: Ich bin froh. Seid ihr es auch!“  Ein anderer: „Wir stehen an einer Zeitenwende. Das zeigt der Tod des Papstes und die Reaktion der Menschen auf dieses Ereignis!“
 
Die Kommentare in den Zeitungen überschlagen sich in aller Regel in einer außerordentlichen Wertschätzung des Papstes. In der FAZ vom Dienstag konnte man z.B. lesen: „Papst Johannes Paul II hat der Welt, vielleicht vor allem Europa, ein mächtiges Erbe hinterlassen. Damit ist er weit aus seinem eigenen Jahrhundert, dem 20., herausgetreten. Er ist - wie wenige seiner Zeitgenossen - zum Gestalter des 21. Jahrhunderts geworden: Unsere Welt wäre nicht nur in geistigen und moralischen, sondern auch in politischen, aber auch wirtschaftlichen Belangen heute eine andere, hätte der Papst seit 1978 die Wende von 1989 nicht angestoßen.“
 
Die Zeitungen nennen ihn den „bekanntesten Menschen der Jetztzeit“ (Salzburger Nachrichten), er habe „die Herzen der Menschen erreicht, wie keiner seiner Vorgänger der jüngeren Geschichte“ (Main Post, Würzburg), „Johannes Paul II. wird Bestand haben in der Geschichte der Welt und seiner Kirche als eine Lichtgestalt“ (Kurier, Wien). In der HNA vom Dienstag (5.4.2005) war zu lesen: „Papst Johannes Paul II. ist tot, aber die Kirche lebt. Fasziniert blicken wir auf das, was sich in diesen Tagen tut. Eine in Tradition und Riten erstarrte Kirche bricht auf und erfüllt sich mit Leben. ... Überraschend ist, dass es nicht nur die Alten sind, die sich öffentlich als Glaubende und Trauernde bekennen, sondern dass überall die Bewegung von Jungen mitgetragen wird.“
 
So sehen „uns“ die Menschen, oft „von außen“. Diese enorme Anteilnahme ist sicher ein Zeichen dafür, dass Papst Johannes Paul II. eine persönliche Glaubwürdigkeit besessen hat, eine Ausstrahlung, die viele Menschen - man kann sogar sagen weite Teile der Welt - in ihren Bann gezogen und angesprochen hat. Immer wieder wird von seinem einzigartigen Charisma gesprochen, das diese große Auswirkung hervorgerufen habe. Die Kirche als Ganze hat sicher durch Papst Johannes Paul II. und gerade durch seine Glaubwürdigkeit eine Aufwertung erfahren, die in diesen Tagen in besonderer Weise sichtbar wird.
 
Und dennoch glaube ich, dass viele von uns, aus der „Innensicht“ der Kirche - zwar berührt sind von den Ereignissen - aber dennoch nüchterner und vielleicht sogar distanzierter mit dem Tod unseres Papstes umgehen.
 
Ja, wir haben unseren Papst verloren. Er ist gestorben. Ja, er war ein großer und in vielen Dingen sogar ein großartiger, sogar ein einzigartiger Mensch, der seine Aufgabe oft in wunderbarer Weise erfüllt hat. Wir verlieren mit ihm eine der bedeutenden Persönlichkeiten, vielleicht die bedeutendste Persönlichkeit unserer Zeit. In ihm hat die Welt das Bild eines glaubenden Menschen gesehen. Er war eines der letzten großen Vorbilder für sehr viele Menschen, gerade auch für viele Jugendliche. Es ist bezeichnend, wie gerade säkulare Länder wie z.B. auch Deutschland diesen Papst geachtet und geehrt haben, auch wenn viele Menschen in zentralen Fragen seine Auffassung nicht geteilt haben.
 
Aber dennoch wissen wir, dass er nur ein Diener gewesen ist. Ein Diener Jesu Christi und Zeuge und Bote der Gegenwart Gottes in dieser Welt. Das war seine Aufgabe: die Botschaft von der Gegenwart, der Größe und der Liebe Gottes in diese Welt zu tragen. Er war Bote nicht Botschaft.  Bote und Botschaft dürfen nicht verwechselt werden. Das hätte vor allem der Papst selber nicht gewollt. Unser Papst stand und steht im Dienste Gottes. Nur in diesem Zusammenhang kann er gesehen und richtig wahrgenommen werden.
 
Das Evangelium, dass wir eben und in der Osternacht dieses Jahres in der Weltkirche gehört haben, - das letzte Mal, dass unser verstorbener Papst es als lebender Mensch vernommen hat, bevor er in das ewige Ostern Gottes eingegangen ist - bringt seine Berufung und seine Aufgabe in vielfältiger Weise zum Ausdruck.
 
Die ersten Zeugen der Auferstehung - im Evangelium werden Frauen benannt, die zuallererst zum Glauben gekommen sind - die ersten Zeugen also erhalten den Auftrag die Botschaft vom Auferstandenen weiterzutragen.
 
Das ist seitdem Auftrag in dieser Welt, der Auftrag, dem der Papst zu dienen hatte und dem er sich ganz und gar verschrieben hat. Das ist das Wesen von Kirche überhaupt: Als Zeugen und Zeuginnen Jesu Christi, des Lebendigen, die Botschaft von der Liebe Gottes in die Welt zu tragen.
 
Es ist eine Botschaft der "Kultur des Lebens"“ wie Papst Johannes Paul II. es oft zusammenfassend genannt hat. Als Diener dieser Lebenskultur hat er sich verstanden und deshalb hat er eindeutig und kompromißlos das Leben verteidigt: Das ungeborene und das geborene, das schwache, komatöse und behinderte, das alte und kranke, das Leben, das in unserer Gesellschaft zunehmend als unproduktiv und lebensunwert verdächtigt oder manchmal sogar offen abgelehnt wird.
 
Unser Bischof Heinz - Josef Algermissen hat es sehr schön in seiner Würdigung des verstorbenen Papstes so ausgedrückt: „Dieser Papst verkörperte eine Dimension, die öffentlich kaum mehr dargestellt wird: Religion nicht als kulturelle Beigabe einer unverbindlichen Zivilgesellschaft, sondern als Grundlage des wahren Lebens. Das Zeugnis eines so lange leidenden Papstes war ein Geschenk für eine Welt, die mit allen Mitteln Leiden zu verdrängen sucht.“
 
Ohne Einschränkung hat er sich als Kämpfer für das Leben verstanden - als Zeuge des Lebens, das in Jesus aus der Bedrohung des Todes von Gott befreit wurde.
 
Für das Leben ist er eingestanden - auch als Kämpfer gegen den Krieg. Welche Stimme in der Welt hat es noch gegeben, die so glaubwürdig gerade in den Zeiten des Krieges gegen Bosnien und gegen den Irak wahrgenommen wurde, als die des Papstes. Ihm glaubte man, dass er für den Frieden war - nicht um Stimmen für die nächste Wahl zu gewinnen, nicht um Propaganda für sich zu machen oder andere politische Winkelzüge zu bedienen, sondern weil er als Mahner für das Leben glaubwürdig war.
 
Zeuge für das Leben - das war seine Berufung. Und das Leben hat er als die kostbare Gabe Gottes verstanden. In ihm hat er Gott gedient. Deshalb galt es, in allem Gott die Ehre zu geben. Papst Johannes Paul II war ein Diener Gottes. Und als solcher gebührt im Dank und Anerkennung, weil und wie er diese Aufgabe ausgefüllt hat.
 
Auf der anderen Seite dürfen wir sofort an das Jesus - Wort erinnern, das uns im Lukasevangelium überliefert ist: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Diener; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.“ (Lk 17,10).
 
Die Welt ehrt die Glaubwürdigkeit unseres verstorbenen Papstes. Gut so! Aber uns muß das eine Herausforderung sein! Eigentlich ist es selbstverständlich, dass ein Diener Gottes glaubwürdig ist. Eigentlich ist es selbstverständlich, dass wir alle in dieser Weise glaubwürdige Zeichen der Liebe Gottes in dieser Welt sind. Eigentlich dürfte das nichts sein, was in so besonderer Weise herausgestellt werden muß, weil es so selten wäre. Das ist unsere Aufgabe. Das müssen wir als Vermächtnis des Papstes, als Herausforderung an uns annehmen! Glaubwürdig durch Wort und Tat das in der Welt bezeugen, was wir als Sendung in diese Welt hinein erhalten haben.
 
Liebe Gemeinde!
 
In aller Trauer um den verstorbenen Papst gilt es, den Blick auf Gott zu richten. Er steht im Zentrum unseres Glaubens. Er ist die Mitte unserer Kirche. Er hat Christus durch den Tod zum Leben gerufen. In seinem Auftrag und ihm zur Ehre leben wir unserer Kirche.
 
Im Evangelium eben haben wir gehört, wie Christus, der Auferstandene, den Jüngern gesagt hat: „Geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern!“
 
Das ist die Sendung, in die wir als Kirche gestellt sind. Das ist die Sendung, die unser Papst sich zu eigen gemacht hat und die er in einer bisher noch nicht gekannten Weise wörtlich umsetzen konnte, auch dank der modernen Kommunikationsmitteln, die ihm - wie bisher niemanden vor ihm - als Papst zur Verfügung standen.
 
Wir dürfen dankbar sein, das er so der Kirche gedient hat.
 
In dieser Stunde des Abschieds beten wir für den Menschen, der Geschöpf Gottes ist, wie wir alle. Wir bitten um die Barmherzigkeit Gottes, auf die er angewiesen ist, wie jeder von uns. Und wir preisen die Barmherzigkeit Gottes, die ihm geschenkt ist, wie wir es für jeden von uns erhoffen.
 
In der alten österreichischen K u K-Tradition gab es einen Ritus beim Tod der Kaiser und Kaiserinnen. Bevor die sterblichen Überreste der Herrscher in die Habsburger Kaisergruft eingelassen wurden, klopfte der Zeremonienmeister an das Tor der Kaisergruft. Der Wächter fragte von innen: „Wer begehrt Einlaß?“ Der Zeremonienmeister antwortete mit dem Namen und den gesamten Titel des verstorbenen Herrschers: Der Kaiser von Österreich, König von Ungarn, König von Böhmen, Dalmatien, Kroatien usw.- über 54 Titel wurden aufgezählt. Der Wächter der Kaisergruft antwortete ungerührt: „Kenne ich nicht!“ Der Zeremonienmeister klopfte erneut dreimal an das Tor und dieselbe Prozedur wiederholte sich. Erst beim dritten mal antwortete der Zeremonienmeister auf die Frage: „Wer begehrt Einlaß?“ mit dem bürgerlichen Namen des verstorbenen und dem Zusatz: „ein sterblicher, sündiger Mensch.“ Und sogleich öffnete der Wächter die Tore und sagte: „So komme er herein!“
 
So erbitten wir Gottes Segen und Barmherzigkeit für Karol Wojtyla, den Diener Jesu Christi, der als Papst Johannes Paul II. seine Aufgabe auf dieser Erde erfüllt hat, gemäß den Gaben, die Gott ihm verliehen hat.
 
Gott sei Preis und Dank!

Amen.

Harald Fischer