24./25.12.2009, Predigt zu Weihnachten

„Herr Pfarrer; ich kann doch denken! Vor 2000 Jahren ist Jesus geboren worden. Seitdem verkünden die Pfarrer jedes Jahr von Neuem: `Friede den Menschen auf Erden`. Und nichts ist passiert. Im Gegenteil: Die Situation wird immer schlimmer – wohin man auch guckt. Irgendwas kann doch da nicht stimmen!“


Liebe Gemeinde!

Das ist ein Teil einer kurzen Unterhaltung aus den vergangenen Tagen, in der mir jemand seinen Zweifel am christlichen Glauben und an der Weihnachtsbotschaft vermitteln wollte.

Ich kann das Unbehagen schon verstehen. Heute singen wir: „Stille Nacht, heilige Nacht!“  und spätestens morgen, wenn wir die Nachrichten einschalten, holt uns die Realität wieder ein.

Aber – können wir tatsächlich das von Weihnachten erwarten, was in der Vorstellung dieses Menschen sichtbar wird? Können wir von Weihnachten erwarten, dass die Welt so wird, wie wir sie uns vorstellen?

Wenn das die wirkliche Erwartung an Weihnachten wäre, würde das bestenfalls wohl darauf hinauslaufen, dass wir uns ein paar Stunden aus der rauhen Wirklichkeit rausmogeln und – je älter wir werden um so mehr – ein inneres Unbehagen verspüren, weil wir wissen: Es stimmt etwas nicht. So stimmt etwas nicht!

Wie kann man Weihnachten richtig feiern? Was macht einen „weihnachtlichen Menschen“ aus?

Schauen wir uns die weihnachtlichen Erzählungen der Bibel an. Da begegnen uns im Umfeld der Geburtserzählung Jesu Menschen, die eine verwunderliche Gemeinsamkeit haben. Es sind allesamt Personen, denen die Bibel einen Lobgesang in den Mund legt.

Da ist zunächst Zacharias, der bei der Geburt seines Sohnes, des Vorläufers Johannes der Täufer, jubelt: Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels. Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen. (Lk 1,68)

Da ist Maria, die nach der Verkündigung durch den Engel bei ihrer Begegnung mit Maria ruft:
Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter. (Lk 1,46)

Im Weihnachtsevangelium selber haben wir den Jubel der Engel gehört: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ (Lk 2,14)

Von den Hirten heißt es, dass sie nach dem Besuch bei dem Neugeborenen zu ihrer Herde zurückkehren, und „sie rühmten und priesen Gott, für alles was sie gehört und gesehen hatten.“ (Lk 2,20).

Und schließlich wird uns vom Lob und Dank des greisen Simeon berichtet, der bei der Beschneidung Jesu am 8. Tag nach seiner Geburt betet: „Nun läßt du Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen, dass du vor allen Völkern bereitet hast!“ (Lk 2,29 f.)

Dieser Lobgesang ist der Kirche so wichtig, dass drei dieser Gebete das tägliche Gebet der Kirche strukturieren: den Lobgesang des Zacharias betet die Kirche jeden Morgen bei der Laudes , das Magnifikat jeden Abend bei der Vesper und der Lobgesang des Simeon beschließt den Tag als Nachtgebet, als Komplet.

Nun kann man denken, diese Menschen haben dann ja wohl offensichtlich auch einen Grund zum Loben und Danken.

Aber dieses Lob, dieser Dank ist zunächst so selbstverständlich nicht. Sie stehen alle an ganz verschiedenen Stationen ihres Lebens. Und die sind nicht gerade geprägt von besonders erhebenden Erfahrungen oder schönen Emotionen.

Im Gegenteil. Bei jedem von ihnen gibt es viel an enttäuschten Erwartungen, an durchkreuzten Lebenshoffnungen und an leeren Stunden, die zu den einzelnen Schicksalen gehören.

Ihr Lobgesang kennzeichnet aber einen entscheidenden Moment im Leben dieser Menschen, im Leben von Zacharias und Maria, der Hirten und dem alten Simeon.

Sie alle machen im Umfeld der Geburt Jesu eine religiöse Erfahrung, die es ihnen ermöglicht, sich mit ihrem Schicksal zu versöhnen, wie es eben nun mal ist. Es ist ihnen möglich, sich mit ihrem konkreten Leben Gott zu überlassen. Ihnen ist die Glaubenserfahrung geschenkt, dass genau in ihrem Leben, in ihrem Alltag, Gott anwesend ist.

Zeichen dafür ist das Kind in der Krippe. Die Begegnung mit dem menschgewordenen Gott versöhnt sie mit ihrem Schicksal – weil ihnen etwas begegnet, was sie übersteigt und was über dieser Erde und ihr wechselvolles Geschehen hinaus hebt.

Ein weihnachtlicher Mensch feiert, so können wir an den Personen im Umfeld der Geburt Jesu sehen, dass Gott im eigenen Leben gegenwärtig ist. Er feiert, dass Gott ihn kennt, dass er es gut mit uns meint; dass er mit uns ist.

Weihnachten feiern wir also nicht, wie man irrtümlich meinen könnte, dass es kein Elend, keine Einsamkeit und keine Angst mehr gibt.

Ich weiß, dass manche von uns hier jetzt mit schweren, traurigen Erfahrungen sitzen und vielleicht ähnlich denken, wie der Mensch, den ich am Anfang zitiert habe: „Wie soll – für mich – Weihnachten sein, bei all dem Schweren, was mich bedrückt?“

Können wir es wagen aus diesem (vielleicht schwierigen) Lebensgefühl heraus Gott zu loben – und damit unsere Wirklichkeit zu übersteigen? Vielleicht gelingt es zunächst nur in dieser Stunde, eine Hoffnung zu feiern, die größer ist, als wir selbst!

Der Lobpreis Gottes ist tatsächlich ein Ausdruck weihnachtlichen Menschseins mit dem wir uns nicht aus dieser Wirklichkeit stehlen, sondern im Gegenteil unser wahres Menschsein ent – decken. „Wir sind bestimmt zum Lobpreis seiner Herrlichkeit“ heißt es einmal im Brief an die Epheser.

Der Lobgesang auf Gott zeigt uns in unserem wahren Menschsein, das vielleicht oft und lange Zeit verdeckt ist. Er zeigt, dass wir unser Leben von Gott her, von seiner Liebe, von seiner Wahrheit verstehen und nicht auf uns und unsere Möglichkeiten allein angewiesen sind..

Im Weihnachtslob leuchtet unsere Erkenntnis, unser Glaube, unser Dank auf, dass unser Leben ein Geschenk Gottes ist.

Und so sind auch die Geschenke, die wir einander in diesen Tagen machen, ein Symbol dafür, dass wir Gottes Geschenk annehmen: unser Leben, das wir im Vertrauen auf ihn leben.

Amen.

Harald Fischer