8. März 2009, 1. Pauluspredigt in der Fastenzeit
Paulus - Apostel Jesu Christi


Liebe Gemeinde!

Paulus ist die zentrale Figur des Christentums. Die meisten wissen recht wenig von ihm. Es gibt manche Vorstellung, die weit verbreitet sind: dass er frauenfeindlich sei, ein Fanatiker, der eigentliche Gründer des Christentums.

Wir hören seine Briefe, aber sie begegnen uns immer nur in Ausschnitten in der Sonntagsliturgie, ohne dass wir die Hintergründe kennen, aus denen sie geschrieben sind. Wir wissen in der Regel wenig über die Adressaten und die Zusammenhänge.

Die katholische Kirche feiert im Jahr 2008/2009 aus Anlass seines 2000. Geburtstages das Paulus-Jubiläumsjahr. Ob Paulus tatsächlich in diesem Jahr seinen 2000. Geburtstag hat, ist historisch ungewiss, aber das Jubiläum ist ein guter Anlass, sich mit Paulus und seiner Theologie näher zu beschäftigen. Das wollen wir an den nächsten vier Sonntagen versuchen, auch wenn ich weiß, dass das in einer Predigt nur in Ansätzen möglich ist.

Paulus war Jude. Er wurde geboren in Tarsus, der heutigen Türkei. Irgendwann in seiner Kindheit oder Jugend ist er mit seinen Eltern nach Jerusalem gekommen, wo er lange gelebt hat. Er stammte aus der Mittelschicht, hatte eine gute Bildung und kannte als gelehrter Pharisäer die jüdische Bibel sehr gut.
Schon früh hat er sich mit der Botschaft des Jesus von Nazareth auseinandergesetzt und wegen seiner Missbilligung dieser Botschaft die ersten Christen verfolgt, „über alle Maßen“, wie er später selber schreibt. Er war mit dafür verantwortlich, dass Jesus-Anhänger verfolgt und ins Gefängnis geworfen wurden und hatte sich am Tod des ersten christlichen Märtyrers, des Stephanus, aktiv beteiligt. Das alles hat ihm natürlich später sehr lange das Misstrauen vieler christlicher Gemeinden eingebracht, die sich noch lange fragten, ob man ihm, dem früheren Christenverfolger, jetzt wirklich trauen konnte.

Eine radikale Änderung seines Lebens brachte sein sogenanntes „Damaskuserlebnis“ mit sich: Paulus hatte auf einer Reise nach Damaskus vor den Stadttoren eine persönliche Erfahrung der lebendigen Gegenwart des auferstandenen Jesus. Dieses Erlebnis brachte ihn zu der Erkenntnis, dass Jesus der verheißene Messias Israels ist.

Er, Paulus, wusste sich von da an als Gesandter Jesu Christi, als sein Apostel, der beauftragt war, den Heilswillen Gottes zu allen Menschen, auch zu den Heiden zu bringen. Bis dahin galten nur Menschen als Apostel, die Gemeinschaft mit dem irdischen Jesus hatten und Zeugen seiner Auferstehung waren. Paulus aber wusste sich persönlich von Gott berufen und gesandt. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom, die er viel später gründete, kommt sein außerordentlich großes Selbstbewusstsein zum Ausdruck.  Er schreibt: „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkünden... Durch Jesus Christus haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um in seinem Namen alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen...“ (Röm 1, 1 + 5)). In einem Konfliktfall konnte er einmal sogar sagen „Wer euch ein anderes Evangelium verkündigt, als wir euch verkündigt haben, der sei verflucht, ... selbst wenn es ein Engel vom Himmel wäre“ (Gal1, 8).

In der jungen Kirche war die äußerst schwierige Frage zu beantworten: Wenn Heiden, also Menschen, die nicht zum Judentum gehören, mit dem Gott seinen Bund geschlossen hat, wenn Heiden zum Glauben an Jesus als den Messias der Menschen kommen, was müssen sie tun?

Jesus war Jude, seine Apostel waren Juden, Paulus war Jude, die Menschen, die zu den ersten Gemeinden gehörten, waren alle Juden.
Und Judesein bedeutet, zu dem Bund zu gehören, den Gott mit seinem auserwählten Volk geschlossen hat. Judesein bedeutet, von Gott selber auserwählt zu sein. Es bedeutet, sich an der Thora zu orientieren, die Speise- und Ritualgesetze einzuhalten, die Feiertage zu kennen und zu leben, die die Geschichte Israels bestimmen und an denen das Wirken Gottes an seinem Volk  verlebendigt wird. Judesein bedeutet, sich an den 613 Ge- und Verboten zu orientieren und sich bewusst in die Tradition der Väter zu stellen, die Tradition, die von Abraham, Isaak und Jakob geprägt ist. Jude sein bedeutet, zum auserwählten Volk Gottes zu gehören und die Beschneidung als äußeres Zeichen an sich vollziehen zu lassen und die Thora einzuhalten.
Menschen, die zum Glauben an den auferstandenen Jesus kommen müssen Juden werden - und unsere Tradition übernehmen. Insbesondere müssen sie sich beschneiden lassen. Das  sagten die konservativen Kreise in Jerusalem.

Paulus stellte sich dagegen. Er hatte lange in Antiochien am Orontes gelebt. Antiochien war eine der größten Städte des römischen Reiches. Es war ein Schmelztiegel der Völker und der Religionen. Römer und Griechen mit ihren verschiedenen Göttern, Mysterienkulte und vielfältige esoterische Gruppen ergaben ein buntes Gemisch. In diesem Umfeld gründete Paulus seine erste Gemeinde. Dort entwickelte er seine Vision der Gemeinde, die an Jesus Christus glaubt. Nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, zu einem Volk oder Stand ist bestimmend, nicht einmal mehr die Zugehörigkeit zum Judentum ist heilsnotwendig. Allein der Glaube an Jesus Christus ist entscheidend.
An seine Gemeinde in Galatien beschreibt Paulus seine Vorstellung so: „Ihr alle, die ihr auf Jesus Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid „einer“ in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.“ (Gal 2,26).
Paulus relativiert damit den Heilsweg der Juden, die Thora. Die Thora gilt auch weiterhin, aber sie ist nicht mehr unbedingt heilsnotwendig. Es gibt einen anderen, neuen Weg: der Glaube an Jesus Christus allein. Man muss sich nicht erst beschneiden lassen, muss nicht erst Jude werden, um auf dem richtigen Weg zu Gott zu sein.

Diese Botschaft des Paulus löste heftige Widerstände und Kämpfe innerhalb der jungen Gemeinde aus. Vielen gingen diese Vorstellungen zu weit. Sogar mit Petrus ist Paulus in einen außerordentlich heftigen Streit geraten. Er schreibt an die Gemeinde in Galatien, dass er ihm „ins Angesicht widerstanden“ hätte, weil Petrus sich „durch seine unaufrichtige Heuchelei ins Unrecht gesetzt“ habe (Gal 2,11 f.). Auslöser für diesen Streit war die Frage nach der Tischgemeinschaft zwischen Heiden und Juden. Von der Thora her war es für gläubige Juden verboten, mit Heiden gemeinsam zu essen. In Antiochien hatte sich aber unter dem Einfluss des Paulus die Praxis der Tischgemeinschaft etabliert, dass „Beschnittene“ und „Unbeschnittene“, also Juden und Heiden, die an Christus glaubten, auch Tischgemeinschaft pflegten. Als konservative Juden daran Anstoß nahmen, mied Petrus die zuvor gepflegte Tischgemeinschaft mit Heiden, solange die konservativen Judenchristen anwesend waren. Daran nahm Paulus Anstoß und empörte sich darüber.

Er setzt sich schließlich mit seiner Vorstellung durch. Heiden, die zum Glauben an den Auferstanden kommen, müssen nicht erst Juden werden, um zur jungen Gemeinde dazugehören zu können. Damit öffnet er den Weg des Evangeliums zu den Völkern. Ohne seine Konsequenz und Beharrlichkeit wäre das Christentum vielleicht für immer eine kleine jüdische Sekte in Palästina  geblieben.

Die Kirche ist in ihrer Geschichte immer wieder genau dieser Herausforderung ausgesetzt: sich so zu ändern, dass die Menschen in ihrer Zeit und in ihrer Umwelt die Botschaft des Evangeliums verstehen. Dabei muss der Weg der Verkündigung so gewählt werden, dass die Sprache und die Form verständlich ist, der Inhalt und der Kern der Botschaft aber klar und eindeutig bleibt.
Paulus beschreibt den Kern so: „Paulus,... berufen,... das Evangelium zu verkünden...: das Evangelium von dem Sohn Gottes, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn.“ (Röm 1,1-4).

Amen.

Harald Fischer