9. März 2008, 5. Fastensonntag
Joh 11, 1 - 45
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Es ist nicht Gleichgültig, in welcher Verfassung wir die Geschehnisse des Lebens hören und interpretieren. Wenn wir vom Ende, sozusagen vom guten Ausgang her eine Geschichte hören, nehmen wir die Verwicklungen und Enttäuschungen nicht mehr wirklich ernst, weil wir ja schon das Ende kennen. Unser heutiges Evangelium, die Erzählung vom kranken Lazarus, ist eine höchst dramatische Geschichte. Ich möchte Sie heute ausnahmsweise erst nach der Predigt vorlesen, damit ihr Ausgang nicht schon den Anfang überdeckt und die Auseinandersetzung, die dort erzählt wird, gar nicht mehr richtig sichtbar wird.
 
Das Evangelium erzählt zunächst von einer Krankheit, einer schweren Krankheit, mit der Lazarus zu kämpfen hat.
 
Jesus sagt dazu: „Diese Krankheit wird nicht zum Tode führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes!“
 
Welche Erwartungen, welche Hoffnungen weckt Jesus damit bei denen, die ihm zuhören? Was hören die Jünger in diesem Moment?
 
Was würden Sie hören, wenn Sie in einer vergleichbaren Situation wären? Wenn ein Ihnen lieber Mensch lebensgefährlich erkrankt um sein Leben bangen müsste?
 
Vermutlich haben die Jünger und vermutlich würden auch wir zunächst den ersten Teil des Satzes hören: „Diese Krankheit wird nicht zum Tode führen!“ Vermutlich würden wir denken: Unsere Hoffnungen werden erfüllt. Es ist doch alles nicht so schlimm! Das Leben, wie wir es uns ausgemalt und gewünscht haben, wird weiter gehen!
 
Der zweite Teil des Satzes fällt dann schnell unter den Tisch: „Diese Krankheit wird nicht zum Tode führen,... sie dient der Verherrlichung Gottes!“ Man kann ihn schnell als unbedeutenden Anhang sehen, den man eben so mit anführt, wenn „religiöse Dinge“ einbezogen werden sollten. So könnte man diesen Satz hören.
 
Aber so hat Jesus ihn sicher nicht gemeint. Für ihn geht es gerade um den zweiten Teil des Satzes. Für ihn geht es gerade darum, dass das Leben, das alles im Leben auf Gott hinweist und zu ihm hinführt. Alles, was wir erleben, dient der Verherrlichung Gottes, auch die Krankheit, unter der Lazarus leidet, auch die Krankheiten, die uns manchmal bedrücken.
 
Diese Worte, diese Einstellung sind eine unglaubliche Provokation. Kann ich das glauben? Kann ich glauben, dass auch das „Negative“ im Leben auf Gott verweist? Kann ich glauben, dass meine eigenen Enttäuschungen, Ängste, Sorgen, Krankheiten, Traurigkeiten, dass all das der Verherrlichung Gottes dienen könnte? Und zwar nicht nur, weil und wenn er es wegnehmen würde und damit wieder alles meinen eigenen Vorstellungen entsprechen würde!
 
Ignatius von Loyola hat in seinem Exerzitienbüchlein über den Menschen und das Ziel seines Lebens geschrieben. Er sagt ganz einfach und klar: Das Ziel unseres Lebens besteht darin, Gott zu dienen und zu ehren und sich auf diese Weise auf die Ewigkeit vorzubereiten. Alles andere ist da, um uns bei der Erreichung dieses Zieles zu helfen.
 
Vielleicht erinnern sich die Älteren unter uns noch daran, dass im sog. „Grünen Katechismus“ ganz ähnliche Sätze und Aussagen zu lesen (und auswendig zu lernen) waren.
 
Ignatius fährt fort: Weil alles auf der Welt dafür da ist, den Menschen bei diesem Ziel seines Lebens zu helfen, nämlich Gott zu lieben und zu ehren, soll ich Reichtum nicht mehr anstreben als Armut. Denn sowohl Armut als Reichtum können mir mit der entsprechenden inneren Haltung helfen, Gott lieben zu lernen. Nach Ignatius soll ich Gesundheit nicht mehr erreichen wollen als Krankheit und sogar langes Leben nicht mehr als den Tod. Alles, was mir in dieser Welt begegnet, steht im Dienst des einen großen Zieles, Gott mehr lieben zu lernen. Aus dieser Haltung erwächst dem Menschen eine ungeheure innere Freiheit. Das Leben wird nicht erst dann lebenswert und sinnvoll, wenn ich jung, erfolgreich, schön und reich bin.
 
„Diese Krankheit wird nicht zum Tode führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes!“ Die Lebenseinsicht des Ignatius speist sich genau aus dieser Haltung des Vertrauens Jesu, die in diesem Wort zum Ausdruck kommt.
 
Im Evangelium heißt es weiter: „Als Jesus mit seinen Jüngern ankam, war Lazarus schon vier Tage im Grab!“
 
Vier Tage Tod erleben, vier Tage Trauer und Schmerz aushalten - das ist eine lange Zeit. Es ist eine Zeit, die ihre Spuren hinterlassen hat und Narben geschlagen hat, die bleiben. Vier - das sind drei plus eins. Drei Tage sind eigentlich eine runde, abgeschlossene Zeit. Mit der Zahl vier macht der Evangelist deutlich, dass der Tod, von dem hier die Rede ist, wirklich endgültig ist und keine Hoffnung mehr bleibt. Der Karfreitag des Lazarus und seiner beiden Schwestern ist bereits gewesen.
 
So klingt auch die Enttäuschung von Martha durch: „Herr, wärest du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben!“
 
Aber sie hält nicht an dieser Enttäuschung fest. Sie äußert sie, sie geht mit ihr um, sie mutet sie auch Jesus zu, aber sie hält nicht daran fest. Sie ringt sich durch ihre eigenen enttäuschten Hoffnungen hindurch, zu glauben, dass Gott mächtig ist, dass er am Werk ist, auch da, wo sie das Leben nicht mehr versteht.
 
Auf die ernste und eindringliche Frage Jesu hin: „Glaubst du?“ antwortet sie klar und deutlich: „Ja, ich glaube!“
 
Der Karfreitag ist der Ernstfall des Glaubens. An ihm entscheidet sich, ob wir eine Hoffnung  leben können, die uns das Leben auch über den Tod hinaus sichtbar werden läßt.
 
„Diese Krankheit wird nicht zum  Tode führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes!“ Mit diesem Wort mutet Jesus uns zu, unser Leben neu zu interpretieren - nicht mehr nur vom Gelingen und vom Erfolg her, sondern in allen Dingen die Spuren zu sehen, die uns auf Gottes Lebenskraft hinführen.
 
Amen
 
Harald Fischer