10. Februar 2008, 1. Fastensonntag
Mt 4, 1 - 10
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Eine ganze Stunde Stille - ohne Lesen, Radio, Schreiben oder sonst etwas. Eine Stunde nur Da - sein. Oder einen ganzen Tag! Haben Sie so etwas schon einmal gemacht? Manche kennen das. Von Einkehrtagen z.B. oder von Exerzitien. Das sind Schweigetage über vier, fünf oder gar acht Tage. In solchen Zeiten erlebt man anderes als den Alltag. Man erlebt sich selber.
 
Manchmal ist das nicht einfach. Da können Themen lebendig werden, die man sonst eher verdeckt oder verdrängt, weil sie unangenehm oder sogar schmerzhaft sind. Das können Ängste, Konflikte, innere Spannungen sein, die in uns leben und die wir mit den Aktivitäten des Alltags „in Schach“ halten. Manchmal machen wir es um uns herum so laut, damit wir nicht hören, was in uns außerdem noch lebendig ist. Das sind die Schattenseiten unseres Lebens, die uns oft genug ängstigen.
 
Es ist verständlich, dass wir denen gern ausweichen. Aber sie gehören zu uns und wenn wir sie vor uns verstecken, nehmen wir einen wesentlichen Teil unseres Lebens nicht wahr. Sie gehören zu uns und müssen - wenn wir gesund und ganzheitlich leben wollen - wahrgenommen, ja sogar integriert werden.
 
Von der Auseinandersetzung mit den Schattenseiten erzählt heute das Evangelium. Jesus hat sich 40 Tage Zeit genommen, in die Stille zu gehen, 40 Tage Zeit, sich selber zu begegnen. Am Anfang des Evangeliums heißt es: „ Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt. Dort sollte er vom Teufel in Versuchung geführt werden.“ Der Heilige Geist selber hat Jesus in die Wüste getrieben. Wüste - das ist nicht nur ein geographischer Ort. Das Wort „Wüste“ kann ich auch übersetzen mit „Öde“ oder „Ödnis“. Dann wird sehr schnell klar, dass jeder Mensch sich irgendwann in der Öde aufhält. Diese Erfahrung gehört zu uns. Ohne sie zu bestehen gibt es kein inneres Wachsen und kein Reifen einer eigenen Persönlichkeit.
 
Dieser Begebenheit im Evangelium geht die Tauferfahrung Jesu unmittelbar voraus. In seiner Taufe erlebt Jesus eine ganz persönliche, mystische Gotteserfahrung, die ihn ein Leben lang geprägt und die seine Botschaft bestimmt hat: „Du bist mein geliebter Sohn“ - das Wort Gottes, das ihn in der Taufe getroffen und im Innersten erreicht und geprägt hat. „Du bist geliebtes Kind, geliebte Tochter, geliebter Sohn!“ Diese Botschaft spricht er später den Menschen zu - in Wort und Tat.
 
Aber bevor er seine öffentliche Tätigkeit beginnt, zieht er sich in die Stille zurück, macht er seine eigenen „Exerzitien“ - und er begegnet in dieser Zeit seinen eigenen Schattenseiten, die zu ihm gehören, wie sie zu jedem Menschen gehören. Und er setzt sich mit ihnen auseinander.
 
In den drei genannten Versuchungen begegnen uns die Grundversuchungen der Menschen.
 
In der ersten Versuchung heißt es, dass der Teufel Jesus auffordert, aus den Steinen der Wüste Brot zu machen, um damit seinen Hunger zu stillen. Das ist die Versuchung des Konsums. Sie drängt den Menschen, alles zu verzwecken. Alles soll ihm dienen und ist nur dazu da, von ihm „gebraucht“ und „verbraucht“ zu werden. Indem Jesus die Versuchung zurückweist, Steine zu verwandeln, bringt er zum Ausdruck, dass es auch weiterhin Hartes gibt, an dem wir uns stoßen, das uns nicht verfügbar ist. Wir leben auch und vor allem von „Gottes Wort“. Jesus verweist damit auf das Freie, Unverfügbare, auf das Heilige, Unantastbare.  Kein Mensch kann auf Dauer gesund leben ohne Muße, ohne Freiheit, ohne Gottes Wort.
 
In der zweiten Versuchung wird Jesus nahe gelegt, seine Gottessohnschaft zu mißbrauchen. „Wenn du Gottes Sohn bist, so stürze dich von der Zinne des Tempels...“. Würde Jesus auf diesen Vorschlag eingehen, würde er Gott instrumentalisieren, ihn für sich gebrauchen, mißbrauchen. Das ist eine Gefahr, der wir im Alltag wohl oft begegnen und erliegen. „Wenn ich schon glaube, muß für mich auch was bei raus kommen. Gott muß  dafür sorgen, dass mir nichts Böses geschieht, dass es meinen Lieben gut geht, dass ich gesund bleibe....“ In dieser Haltung benutzen wir Gott. Dann mache ich mir ihn zum Diener. Gott muß dann für mich da sein und nicht ich für ihn.
 
Die dritte Versuchung ist die der Macht. „Das alles will ich dir geben, wenn du vor mir niederfällst und mich anbetest.“  Die Märchen erzählen immer wieder von diesem Motiv: Wer sich dem Teufel verschreibt, wird sein Sklave. 
 
Alle drei Versuchungen haben letztlich den einen Inhalt: Ich mache mich selbst  zum Mittelpunkt der Welt. Alles, angefangen von der Schöpfung bis hin zu Gott selber, hat sich mir unterzuordnen. Letztlich heißt diese Haltung, dass ich mich selber zu Gott mache. Mit diesen Versuchungen erweist sich der „Teufel“ als Symbol unserer Schattenseiten, unserer Gefährdungen, denen wir begegnen und mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
 
Jesus weist diese Versuchungen von sich. Die Schritte dazu sind: Er nimmt sie wahr, er nimmt sie auch als Versuchung wahr und er hält sie zunächst aus. Er widersteht ihnen, indem er tut, was der erste Adam nicht getan hat. Er traut Gott. Er hat keine Angst, dass ihm etwas entgeht, wenn er den Willen seines himmlischen Vaters tut. Er entscheidet sich ganz für Gott - bis zur letzten Faser seiner Existenz. In dem Moment, wo diese Entscheidung gefallen ist, kommen Engel und dienen ihm. In diesem Augenblick beginnt auf der Erde das Paradies.
 
Amen
 
Harald Fischer