Jens Nedowlatschil: Hungertuch, 2014. Kirche Sankt Familia

              

Jens Nedowlatschil: Hungertuch, 2014. Kirche Sankt Familia.
Lichtbeständiger Inkjet-Druck auf PVC, 300 x 450 cm
Konzeption: Jens Nedowlatschil
Produktion: Jens Nedowlatschil, Michael Wegener
(Foto: Jens Nedowlatschil)

Kruzifix 2014

Eine große Fläche, eine leuchtende Farbe, eine kurze Botschaft: "Kein Signal."

Auch in der Fastenzeit 2014 wird in Sankt Familia das Kruzifix über dem Altar nicht durch das traditionelle Hungertuch verdeckt. Diesmal ist es ein Screenshot, die Kopie einer Bildschirm-Ansicht. Das Bild kennen alle, die mit Computer und Beamer schon einmal eine Präsentation gemacht haben. Ein Bild, das man gar nicht so gerne sieht, weil es anzeigt, dass die Verbindung zwischen Computer und Beamer noch nicht aufgebaut ist.

Wir laden Sie herzlich ein, uns Ihre Gedanken zum verhüllten Kreuz mitzuteilen!
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Die persönlichen Rückmeldungen
auf das verhüllte Kreuz über dem Altar von Sankt Familia

Der Tag, an dem Gott nicht spricht

Das verhüllte Kreuz, mehr noch, die Auskunft Kein Signal erinnert mich an den Karsamstag. Er ist der einzige Tag im Kirchenjahr, an dem keine Liturgie stattfindet. An dem Gott nicht spricht. An dem die Gemeinde verstummt. Kein Gebet. Kein Gesang. Keine Gemeinschaft. Der Tag des „Gott-Vermissens“.
Wie viele Menschen machen genau diese Erfahrung an ihrem persönlichen Karfreitag: Dass der Glaube am Leid zerschellt, sich auflöst in Fragen (das letzte Wort Jesu am Kreuz – eine Frage).
Die Theologie und die Verkündigung werden hier bescheiden, mehr noch: sprachlos. Endlich. Was gibt es denn nach dem Karfreitag überhaupt noch zu sagen, für Gott, für den Menschen? Es gibt von uns Menschen nichts mehr zu konstatieren (keinen schlauen Satz über Gott und das Leid), es gibt aber auch von Gott selber nichts zuzusprechen an die Elenden, die Leidenden, die Vernichteten (die Trost- und Klagepsalmen sind verstummt).
Kann die Totalverhüllung des Kreuzes, unter die Deutung Kein Signal gestellt, also der Karsamstag, nicht ein Hinweis sein, worum es in unserer christlichen Existenz wirklich geht: Zu lernen, mit dem Schweigen Gottes zu leben?
Die unbeantwortbare und unvergessliche Theodizee-Frage aushalten zu lernen?
Der Ostertag kommt schnell – aber nur liturgisch. Diese liturgisch schnelle „Ablösung“ des Karsamstags mit seinem undurchdringlichen Dunkel kommt mitunter für viele zu schnell, zu glatt, zu triumphal. Das birgt die Gefahr, dass im Triumphgesang über die Auferstehung am Ostermorgen das fremde Leid erneut vergessen, der Schrei der Opfer der Geschichte übertönt wird.
Die Karsamstagserfahrungen vieler Menschen halten über den Ostertag hinaus an…

L. (2. April 2014)



Zugang zu Gott

"Ich finde keinen Zugang zu Gott", war mein erster Gedanke. Das stellt das Tuch für mich dar. Und ich spüre es, ich bin zwar da, aber ich bin abwesend. Ich bete, ich spüre aber keine Verbindung zu Gott. Ich spreche zu Gott, spüre aber keine Antwort. Ich verlasse die Kirche und alle Gedanken über Gott werden durch die alltäglichen Sorgen gelöscht. Ich versuche es. Ich will Gott in mein Leben lassen. Es ist so schwer... immer noch kein Signal.
Heute, als ich die Kirche betreten habe, war es noch etwas früh. Es war nur ein Mann in der Kirche... und ich. Ich nutzte die Zeit um mit Gott zu sprechen. Und dann fällt es mir auf: die Sonnenstrahlen schienen von hinten auf das Tuch und man kann den Schatten des Kreuzes auf dem Tuch sehen. Ich bin so gerührt, dass ich weinen muss. Den Schatten konnte man während des ganzen Gottesdienstes sehen. Vielleicht war das auch früher so, ich hatte es nur bisher nicht gesehen. Vielleicht ist das ein Zeichen... ich musste den ganzen Tag daran denken. Vielleicht passiert etwas in meiner Seele, vielleicht kommt das Signal wieder und ich finde letztendlich doch noch Zugang zu Gott.

C. (31. März 2014)



Impression/Klage

„Gebt mir meinen Jesum, meinen Jesum wieder …“

Diese Leere ist nur schwer erträglich, verletzend.
Wie Jesus grausam verletzt wurde.
Die kalte blaue Farbe findet sich fahl auf den
Chorwänden wieder.
Und lähmt und ängstigt.

C. (26. März 2014)



Die Leere bevorzugen

Wie wenig Ruhe/Pausen gönnen wir im Allgemeinen unseren Sinnesorganen Augen/Ohren! Sie sind gewissermaßen unersättlich geworden im Erspähen und Hören von Interessantem, Reizvollem, höchst Beeindruckendem (sei’s gut oder gar schockierend) anhand der Medien, der modernen Kommunikationsgeräte. Ständig setzen wir uns einer Reizüberflutung aus, so dass wir Wesentlichem in unserem Leben vielleicht nicht mehr nachspüren und auch das Gebetsleben „schwindsüchtig“ werden kann.
Solch ein einfarbiges, ja total gegenstandloses sogenanntes „Hungertuch“ wie wir es in dieser Fastenzeit vorfinden, vermag bei der ersten Begegnung enttäuschen, ja nichtssagend sein.
Doch nach dem Weggehen erinnerte es mich plötzlich an die leere Bildfläche eines ausgeschalteten Fernsehens. (Ist er nicht vielfach wie selbstverständlich zum Mittelpunkt in der Freizeit geworden, der selbst in christlich geprägten Familien den Blick bzw. die Hinwendung zum Kreuz verdrängt hat?)
So wäre es angebracht, ihm gerade in der Fastenzeit weniger Raum einzuräumen, die Leere des Bildschirms zu bevorzugen, um dafür die Stille innerer Einkehr zu widmen. Der Verzicht bringt inneren Gewinn.
Meines Erachtens könnte uns das Hungertuch dazu anregen wollen ?

BM. (20. März 2014)



Gar nichts!

Dieses Blau hat auf mich eine angenehme, beruhigende Ausstrahlung. Es passt gerade zu meiner Lebensphase, in welcher ich nur beobachte, was passiert, wenn ich mich einmal nicht abrackere, sondern "kein Signal" sende: nämlich gar nichts!
Das allein ist Antwort genug: ich sollte den spirituellen Aufenthaltsort wechseln.

S. (19. März 2014)



Leise göttliche Signale

Kein Signal?
Die Undurchdringlichkeit, hinter der sich das Kreuz verbirgt, die blaue Fläche, die meine Blicke bannt, geben mir Raum zum Nachdenken, mich nach innen zu wenden.
Wo suche ich Gott? Wo, wie, wodurch empfange ich seine Signale und wohin sende ich meine? Es wird mir bewusst, wie sehr der Mensch - und mit ihm alles Lebendige - ein Signal aussendendes und empfangendes Wesen ist, auf allen Ebenen seiner Existenz, der physischen, psychischen, sozialen und geistigen. Das heißt, er lebt, indem er mit allem in Beziehung steht, er ist ein "multilogisches Wesen".
Zwei Folgerungen daraus:
1. Fastenzeit könnte die Zeit sein, meine Sender- und Empfängeraktivitäten in Frage zu stellen. Sind die leisen göttlichen Signale zu vernehmen neben den vielen anderen, die mich erreichen? Habe ich genügend Zeit, an den göttlichen Empfänger zu senden?
2. Der Gedanke, die Wirklichkeit in und um uns her als ein unendlich aufeinander bezogenes Geflecht von Beziehungen, als ein grenzenloses Netzwerk unendlich vieler Knoten, die alle an der Spannung des Netzes teilhaben, kann meine engen Grenzen erweitern und meine persönliche Verantwortung für das Ganze steigern.
Ich glaube, dass diesem Netz und seiner Spannung Christus selbst zugrunde liegt, er trägt und erhält es im Dasein. Ich kann auf vielen Ebenen seine Signale empfangen und ihm Signale senden: wenn ich mit Menschen kommuniziere, im Buch der Natur lese, über die Schönheit der Welt staune, mit den Leidenden fühle, mich seinem Wort zuwende und vieles mehr, das ich mit Aufmerksamkeit entdecken kann.

L. (19. März 2014)



Weg damit!!!

"KeinSignal" so steht am unteren Rand des Tuches. Das stahlblaue Tuch wirkt extrem kalt und abweisend auf mich; es ist wie eine brutale Schranke, die mir keinen Zugang ermöglicht. Ich bin abgeschnitten, aussen vor. Ich will es herunterreissen, weg damit!!!

KK. (18. März 2014)



Aufgehoben

Manchmal spüre ich keine Signale in mir.
Die Verbindung zu meinem Innersten, zu mir selbst ist verloren gegangen.
Dann tröstet mich der Glaube, dass mich diese Abgeschnittenheit öffnen kann und soll für den weiten Himmel.
Es gibt noch jemand, der hinter allem steht und mein Leben unsichtbar trägt und hält.
Meine Verbindungslosigkeit ist aufgehoben in der Verbindung zu ihm.

B. (15. März 2014)



Der Erdboden müsste sich öffnen und die Welt verschlingen

Als ich am 1. Fastensonntag in die Kirche kam, dachte ich: Ach ja, eine Leinwand mit Beamer. Heute kommt ja Anselm Grün, da sind schon die Vorbereitungen im Gange. – Dann hieß es bei den Vermeldungen, dass dies das neue Hungertuch ist. Ich war auf einmal wie vom Blitz getroffen. Wie? Keine Verbindung? Wenn das wirklich so ist? Wenn es keine Verbindung mehr von mir zum Kreuz, zu der Glaubenswahrheit gibt? Oder noch schlimmer: Keine Verbindung von Gott zu mir? Schrecklich. Im Alltag ist der Glaube irgendwie so selbstverständlich da, wenn auch oft nicht bewusst und vielleicht nicht immer ins Leben umgesetzt. – Aber wenn das alles auf einmal wirklich ganz weg wäre! Der Erdboden müsste sich öffnen und die Welt verschlingen!

K. (13. März 2014)



Das "JA" lebt und liebt

Erste Reaktion: suchen - Augen suchen;
schrecklich, kein Signal zu finden;
Das Blau löst Sehnsucht aus;
Wortspiel:    suchen
               versuchung. sehen wir ins
Leere????
Sehn-sucht : nach d e m Signal schlechthin, das aufatmen
lässt, das das "Dennoch" wagen lässt, das das "JA" lebt und liebt!

KF. (11. März 2014)



Dem Christus in uns zuwenden

Das Hungertuch soll uns, während der Fastenzeit, den Anblick des Triumphkreuzes verwehren. Die Isolation von der Gotteskraft, die das Bildnis des Todesüberwinders ausstrahlt, kann uns ein Leid sein. Doch auch in dunklen Zeiten erstrahlt uns, in der Kommunion, das Gotteslicht – die Christussonne. Sie ist die Wegzehrung, die unser Herz erwärmt und unseren Geist erhellt.
In der Zeitenwende trat der Gottessohn in den irdischen Lebensstrom. Er erhellt, auch in unseren Tagen, mit seiner Liebe die Menschenseelen. Wir dürfen uns – besonders zur österlichen Bußzeit – dem Christus in uns zuwenden und nach seinem Willen unser Leben neu ausrichten.
Auch in meiner Lebenswirklichkeit erzeugt das digitale Bild "Kein Signal" eine emotionale Anspannung; denn es wird übertragen, solange die Verbindung zwischen der Hardware noch nicht aufgebaut ist. Durch die Wahrnehmung der belastenden Gefühle werden in uns vielleicht längst verdrängte, wertvolle Gedanken frei, die uns zur Kraft werden können.

N. (11. März 2014)



Ohne Christus keine Verbindung

Durch das neue Hungertuch hat sich unsere Kirche grundlegend verändert und zwar nicht nur äußerlich, sondern auch spirituell. Bisher war Mittelpunkt der leidende - und segnende - Gottessohn, jetzt ist es jedoch der "im unzugänglichen Licht" seiende Gott, symbolisiert durch das Tuch in dem herrlichen Blau der Unendlichkeit. Zwischen diesem Gott und uns besteht jedoch ohne Christus keine Verbindung, was auf dem Hungertuch durch die Worte "Kein Signal." ausdrücklich klargestellt wird.
Wenn unter diesem Hungertuch vom "Gott bei den Menschen" gesprochen wird, beispielweise im Ps 23, so ist dies für mich zumindest irritierend, wenn nicht gar unschlüssig, weil gerade diese Verbindung zwischen Gott und Mensch durch die Feststellung "Kein Signal." offensichtlich abgeschnitten ist. Dieser Widerspruch zwischen Wort und Hungertuch ist für mich nur schwer erträglich. Hinzu kommt noch, dass dieses "Kein Signal." den geheimen Zweifel nährt, ob Gott wirklich mein Ansprechpartner sein kann.

GP. (10. März 2014)